Manchmal werden wir gefragt: „Macht Ihr eigentlich noch was für die Flüchtlinge? Es sind ja gar keine mehr im Dorf!“ Dann sagen wir: Es wohnt zwar nur noch eine eritreische Frau mit ihrem Baby im Dorf, aber wir kümmern uns nach wie vor auch um die ehemaligen Bewohner der Alten Mädchenschule. Die meisten von ihnen wohnen jetzt in Kastellaun, andere verstreut über viele Orte. Und sie alle brauchen nach wie vor Unterstützung, sonst kommen sie nicht zurecht. Wie schon in den Informationen (12) zu Beginn des Jahres gesagt, ist die Arbeit für die Helfer nicht geringer geworden, dafür aber schwieriger. Es geht jetzt nicht mehr um erste Nothilfe und ersten Spracherwerb, es geht jetzt um die Integration unserer Schützlinge. Und die Integration in die deutsche Gesellschaft hat ja erst begonnen.

Beispiel 1:

Einem unserer Schützlinge, einem Mann aus Afghanistan, drohte Anfang des Jahres die Abschiebung. Da geht es dann ums Ganze, da geht es dann oft um Leben oder Tod. Denn unser Mann ist sicher, dass man ihn, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste, dort umbringen würde. Er hatte daher gegen den ablehnenden Bescheid des BAMF Klage eingereicht. Für den 24. Januar 2018 war die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Trier anberaumt. Bei der zweistündigen öffentlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Trier, an der wir Helfer teilnehmen konnten, fragte die Richterin den Betroffenen noch zum Schluss, ob er noch etwas sagen wolle. Der antwortete, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren werde. Ihn erwarte dort nur ein grausamer Tod durch die Taliban, vielleicht die Enthauptung. Er gebe hiermit zu Protokoll, dass er seine Organe dem Deutschen Staat vermache. Er werde Deutschland nicht lebend verlassen. Die junge Richterin nahm das ohne erkennbare Regung zur Kenntnis. Im zwanzig Seiten langen Urteil des Gerichtes, das dann schon sehr schnell schriftlich vorlag, formulierte sie, dass es erhebliche Zweifel daran gebe, „dass sich die vorgetragene Verfolgungsgeschichte tatsächlich so ereignet und zugetragen“ habe, wie er sie berichtet habe. Das Vorbringen des Klägers zu seiner Verfolgung durch die Taliban sei unglaubhaft. – Diese Bewertung des Gerichtes stand in so krassem Gegensatz zu dem Vertrauen, das wir den Berichten unseres Schützlings entgegenbringen, dass wir uns des Eindrucks der Voreingenommenheit des Gerichtes nicht erwehren konnten. Aber wahrscheinlich sind es nur die rigiden Urteile der Oberlandesgerichte verschiedener Bundesländer, die sich da auswirken. Unserer Meinung nach wird der Einfluss der politischen Grundstimmung im Lande auf die Rechtsprechung bei den Flüchtlingsprozessen immer mehr erkennbar. Der Prozessausgang ist jedenfalls eine schwere Niederlage für uns und vor allem für unseren Schützling, der nun fürchten muss, bei Nacht und Nebel aus dem Bett geholt zu werden und zum Flugplatz transportiert zu werden. Noch lebt er. Er hat einen Job in einer Bäckerei gefunden. Einen Sprachkurs kann er nicht besuchen. Er ist ja zur Abschiebung vorgesehen. Integration ist nicht erwünscht. Aber die Anwaltskosten darf er doch noch begleichen: 1.001,14 Euro. Die „Masdascher Flüchtlingshilfe“ hat ihm einen Kredit gewährt, den er immer noch abbezahlt. Und wir hoffen, dass er dann doch irgendwann die Erlaubnis erhält, hier bei uns zu bleiben.

Beispiel 2:

Ein ganz anderes Schicksal betrifft eine eritreische Familie, die seit Mai 2017 in Mastershausen lebt. Scheinbar ein Musterfall gelingender Integration. Sie war im Februar 2015 nach Masterhausen gekommen, er Ende Oktober 2015, lebten beide in der Alten Mädchenschule. Sie hatte in Mastershausen zunächst privaten Sprachunterricht bei Josef Peil gehabt, hatte dann den Mama-Kurs von Jutta Dahl besucht, und ab Januar 2016 den VHS-Sprachkurs von Frau Michael-Murmann. Er hatte seit seiner Ankunft in Mastershausen einen Deutschkurs und zwei Integrationskurse der VHS besucht. Er hat inzwischen die B-1-Prüfung bestanden und versucht zur Zeit, den Hauptschulabschluss des EBZ in Ohlweiler erfolgreich abzuschließen. Er möchte gerne eine Ausbildung als Schreiner oder etwas Ähnliches machen. Sie möchte gerne Altenpflegerin werden. Beide verliebten sich ineinander und zogen im Mai 2017 in eine gemeinsame Wohnung in Mastershausen. Im Juni desselben Jahres wurde ihnen ein Sohn geboren. Im Dezember 2017 fuhren sie eigens nach Wien zu Freunden aus der Heimat, um das Kind dort nach orthodoxem, eritreischen Ritus taufen zu lassen. So weit, so gut. – Doch dann verstanden die beiden sich auf einmal nicht mehr so gut, und das Unheil nahm seinen Lauf. Sie konnten – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr zusammen leben. Er suchte eine andere Wohnung, fand schließlich im März dieses Jahres ein Zimmerchen in Alterkülz, von wo aus er nach wie vor nach Ohlweiler fährt. Sie lebt jetzt allein in der alten Wohnung in Mastershausen, kümmert sich um das Kind, kann aber keinen Sprachkurs mehr besuchen, bevor der Junge nicht in den Kindergarten kommt. So platzt ihr Traum von der Ausbildung zur Altenpflegerin, jedenfalls vorerst. Und ihr Partner wird auch nicht gleich mit einer Lehre beginnen können, sondern erst mal einen B-2-Kurs besuchen müssen. Dass die beiden auf eigenen Beinen stehen können, wird also noch lange dauern. Aber diese Anlaufzeit brauchen fast alle Flüchtlinge. Integration ist eben ein langer Prozess. Wir, die freiwilligen Helfer in der Flüchtlingsarbeit, haben den beiden geholfen, wo immer wir konnten. Aber wo es um die Liebe ging, waren wir dann doch machtlos.

Beispiel 3:

Das bisher geglückteste Beispiel von gelingender Integration ist wohl das des syrischen Flüchtlings, der vom Dezember 2014 bis März 2015 in der Flüchtlingsunterkunft in Mastershausen lebte. Er kam, wie so viele andere auch, mit dem Boot über’s Mittelmeer. Als er hier ankam, sprach er kein Wort Deutsch. Er hatte in Damaskus nur sieben Jahre lang die primary school besucht. Mehr brauchte er dort nicht. Schon mit 14 Jahren hatte er im Laden seines Vaters gearbeitet, der ein Geschäft für Damenbekleidung (Hochzeitsausstattung, Damenunterwäsche) geführt hatte. Seit seinem 21. Lebensjahr leitete er dann selbständig dieses Geschäft. Als er die Einberufung in die Armee Assad’s auf dem Tisch liegen hatte, entschloss er sich, seine Heimat zu verlassen. Er war, sagt er, ein reicher Mann. Als er in Deutschland ankam, musste er ganz von vorne beginnen. Von März 2015 bis Januar 2016 besuchte er den Integrationskurs des BAMF in Kastellaun und legte im Januar 2016 die B-1-Prüfung erfolgreich ab. Von Januar 2016 an bis Juli 2016 besuchte den Kurs „Fit für den Beruf“, den er mit der B-2-Prüfung abschloss. Sein Wunsch war es, Altenpfleger zu werden. Dazu absolvierte er ein Praktikum im Seniorencentrum in Kastellaun. Dazu arbeitete er ein Jahr lang als BUFDI bei der Lebenshilfe in Kastellaun. Parallel dazu bereitete er sich auf den Hauptschulabschluss vor, indem er morgens den Kurs des EBZ in Ohlweiler besuchte. Das alles ging nur mit zäher Geduld und großem Fleiß. Ihm gelang es zudem, eine sehr annehmbare Wohnung im Zentrum von Kastellaun zu finden. Ihm gelang es, den Führerschein zu machen, wobei er die mündliche Prüfung sogar in deutscher Sprache ablegte. Er fängt im August dieses Jahres bei der Lebenshilfe sein erstes Lehrjahr in der Altenpflege an. Nur eines fehlt ihm noch: eine syrische, moslemische, schöne, liebenswerte Frau. Und ein Auto. Er ist freundlich, liebenswürdig, spricht gut Deutsch. Und Altenpfleger werden mehr denn je gesucht. Was könnte sich die deutsche Gesellschaft mehr wünschen, als solche Menschen? Die freiwilligen Helfer in der Flüchtlingsarbeit, die ihm beigestanden haben, freuen sich über seine Erfolge.

Drei Schicksale, die stellvertretend dafür stehen mögen, wie es den Menschen, die es nach Mastershausen verschlagen hatte, ergangen ist und geht. Wir, die freiwilligen Helfer, haben jede der unterschiedlichen Wendungen ihres Lebens begleitet, sind mit ihnen auf die Ämter gefahren, haben Briefe für sie geschrieben, haben sie zu Ärzten geschleppt, standen mit ihnen vor Gericht, haben ihnen Mut gemacht und sie getröstet. Wir sind für viele von ihnen Vater und Mutter gewesen – und so reden uns viele ja auch an. Jetzt hoffen wir, dass sie alle langsam flügge werden und das Nest verlassen. Aber an fast jedem Tag merken wir, dass sie uns doch immer noch brauchen. Leider fehlt es oft an Unterstützung durch die kommunalen und staatlichen Institutionen. Es wird viel von Integration geredet, aber wir haben leider den Eindruck gewonnen, dass Integration oft gar nicht gewünscht wird.

V.i.S.d.P.: Michael Haberkamp